Start 9 Wanderrudern 9 Seine – 2014

Das Heulen der Alarmanlage nervte. An diesem Morgen hatte sich der Fehlerteufel eingeschlichen: Nicht nur, dass Roland nun mit allerlei Werkzeug die Alarmanlage der Jugendherberge lahmzulegen versuchte, die auf der Suche nach einem Lichtschalter ausgelöst wurde. Nach einer Viertelstunde war das Werk vollbracht, doch nach kurzer Fahrt auf die andere Seite der Seine tauchte das nächste Hindernis auf –besser gesagt: es war abgetaucht, denn die vier BRV-Boote waren zwei Nächte an einer Insel vertäut und durch wiederholten Regen mehr als nass. Doch nach dem Ausschöpfen und Umdrehen waren alle bald einsatzbereit. Überhaupt klappte die Organisation der Reise dank des Einsatzes unserer französischen Partner und aller Teilnehmer ausgezeichnet. Das konnte auch eine gelegentliche Husche nicht vermasseln.

Die Fahrt auf dem Unterlauf der Seine ist zweifellos der Höhepunkt der Wanderfahrten 2014. Zum 16. Mal wurde sie gemeinsam vom ARC und dem Breisacher Ruderverband vorbereitet und durchgeführt – diesmal ruderten die 27 Teilnehmer eine Woche durch die Hügellandschaft der Normandie, kletterten auf Burgen und Schlösser und genossen die französische Küche. Für letztere sorgte mittags die motorisierte Küchenmannschaft, abends mit einem Drei-Gänge-Menü ein Traiteur aus Vernon und das von den Breisachern mitgebrachte Weindepot aus dem Midi. Ständige Unterkunft war die FUAJ-Jugendherberge in Vernon. Die Zimmer sind zweckmäßig mit 4 -8 Doppelstock-Betten eingerichtet und führen praktischerweise auch gleich in den Garten hinaus. Das wussten die Ruderer nach erfolgreichem Einsatz zu schätzen, denn dort fand jeweils das vorabendliche Beisammensein mit einem Kaltgetränk statt. Andererseits fanden die Nacktschnecken auch den umgekehrten Weg vom Rasen in die Zimmer…

1. Tag

Während die Breisacher am Sonnabend, dem 23. August, vorsichtig die vier Boote auf dem Hänger Richtung Vernon steuerten, verlustierten sich die eingeflogenen Berliner in den Gärten von Versailles. Als sie am Nachmittag in Villennes-Poissy eintrafen, waren die Boote bereits aufgeriggert und einsatzbereit. Nach dem Transfer zur Jugendherberge in Vernon blieb noch Zeit für eine entspannte Gesprächsrunde im Garten. Beim lukullischen Mahl am Abend stellte sich auch Natalie vom ACVP vor, die den Ablauf der Etappen perfekt vorbereitet hatte.

2. Tag

Bei strahlender Sonne war zunächst ein kurzer Fußmarsch durch den Tunnel unter der Bahntrasse zum nächtlichen Boots-Lager angesagt. Nach dem Einsetzen der vier Boote starteten wir an einem idyllischen Seitenarm der Seine stromaufwärts. Wir wendeten nahe den Ruinen der alten Brückevon Villennes, die schon im 13. Jahrhundert die Seine überspannte. Nun ging es abwechselnd im breiten Hauptstrom abwärts, wo sich gelegentlich ein Dickschiff von oder nach Paris mit etwas Wellengang vorbeischob, oder –getrennt durch langgestreckte Inseln –auf einem Nebenarm. Mittags fuhr unser gut vorbereiteter Versorgungstross in Meulhan vor dem AMMH das Picknick auf; nach dem Einräumen des Mobiliars in das Bootshaus wechselten sieben Bootsfahrer vom Roll-in den Autositz –und umgekehrt.Die ebenso kurzeNachmittags-Etappe führte an lang gestreckten Inseln zwischen eindrucksvollen Uferhängen mit Kalksteinformationen und durch das Städtchen Mantes-la-Jolie zum Segelclub „Cercle de la voile de Dennemont“, wo die Landratten schon ausgiebig mit Kuchen und Wein bewirtet wurden. Zum Empfang der Ruderer kam auch der Club-President Marc Daquin, er erhielt zwei Ehren-Mützen der deutschen Ruderer. Die Boote wurden über Nacht auf der Wiese gelagert.Nach dem Abendmenü kredenzte Wolfgang B. eine Runde selbst hergestellten Calvados, der die gute Stimmung weiter steigerte.

3. Tag

Nach kurzer Anfahrt startete die kurze Etappe problemlos bei bedecktem Himmel vom Segelclub. Nach wenigen Kilometern konnten wir durch die Sichtachsen im Park einen Blick auf das Château de Rosny werfen, ein Schloss im Stil Ludwig XIII., das am Ende des 16. Jh. erbaut wurde. Unterhalb des Parks verengt sich das pittoreske Tal wieder, eine Schleuse versperrt die Weiterfahrt. Da Nathalie uns angekündigt hatte, öffneten sich aber bald die Schleusentore zur Einfahrt in eine beeindruckend große Schleuse. Hier war das Anlegen unserer Sicherheitswesten Pflicht. Auf einer Wiese bei Vetheuil landeten wir beim mittäglichen Verpflegungspunkt an. Hier begann es zu regnen, der Aufbruch vom Picknick und Einstieg über das abschüssige Ufer und die schwankendenStege glich eher einer Flucht. Die Rudermannschaft wurde mehrmals durchnässt, ließ die Burg von Roche-Guyon und die Stadt Bennecourt steuerbords liegen und war froh, die Region Haute-Normandie und kurz vor 17 Uhr den Club de Vernon zu erreichen. Der massige Tour des Archives, ein Rest der Burganlage aus dem 12. Jahrhundert, die Stiftskirche und das Château des Tourelles waren im Regen kaum am gegenüberliegenden Ufer zu erkennen. Mit Hilfe eines Motorboots wurden die Boote an der nahen Seine-Inselvertäut. Pitschnass fuhren wir mit den drei Kleintransportern zur nahen Jugendherberge. Nach der wärmenden Dusche wurde die Kleidung gewaschen und auf langen Leinen unter dem überdachten Zugang zu den Zimmern zum Trocken aufgespannt – aber das dauerte Tage.

4. Tag

Ein umfangreiches Besichtigungsprogramm erwartete uns nahe Vernon (25.000 Einwohner),67 Kilometer nordwestlich von Paris. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt, das Artillerieregiment, die Militärschule und die Munitionsfabrik 1940 durch die Luftwaffe der Wehrmacht bombardiert. Auch die Stiftskirche Notre-Dame wurde beschädigt. Während der 8-tägigen Befreiungskämpfe 1944 wurde die strategisch wichtige Brücke und angrenzende Stadtviertel mehrfach von den Alliierten bombardiert. So bieten die Gebäude nach dem Wiederaufbaueine bunte Mischung aus Fachwerk und Moderne. Militärtechnische Einrichtungen befinden sich auch heute wieder in der Stadt –und der Ruderclub ENV. Um 10 Uhr begann die Besichtigung des alten und verwinkelten Burgschlosses Chateau de la Roche-Guyon steil über den Ufern der Seine, zum Teil in den Fels gehauen, an ihn heran und kühn überbaut. Eine mit der Geschichte des Ortes bestens vertraute Führerin begleitete uns durch enge Gänge, über steile Treppen durch kleine Gemächer, aber auch prachtvolle Säle mit großartigen historischen Gemälden einschließlich Darstellungen der adeligen Bewohner. Zu nennen ist die Familie La Rochefoucault, deren letzte Nachfahrin 1985 starb. Die Burg ist seit dem 10. Jh. Teil der französischen Grenzbefestigung in den Kriegen gegen die Normannen. Die ansässigen Fürsten lebten gut von der Salzsteuer, den die Schiffe auf der Seine auf dem Wege nach Paris zu entrichten hatten, wenn sie durch die Kettensperre im Wasser gelassen werden wollten. Gegen Ende des zweiten Weltkrieges hatte die deutsche Heeresgruppe B unter Generalfeldmarschall Rommel ihr Hauptquartier in diesem Schloss. Weit in der Geschichte zurück liegt eine andere Episode: Der Herrscher der Normandie Richard Löwenherz hielt sich in diesem Schloss auf, als er von seinem Kreuzzug und Gefangenschaft auf der Burg Triefels in der Pfalz in die englisch besetzte Normandie zurückkehrte, wo er durch den Bau (1196/97) der FestungChâteau Gaillard bei Les Andelys die Grenze zu Frankreich zu sichern suchte, die wir am nächsten Tag unserer Reise kennen lernen sollten.Anschließend fuhren wir zu einem netten Restaurant in Giverny, saßen im Freien an einem Bach, aßen zu Mittag, hatten drei Gänge und Wein. Weiter ging ́s zum blumenreichen Garten von Claude Monet. Wir sahen seinen vielgemalten Seerosenteich, besuchten sein Wohnhaus im Museum des Impressionismus mit Gemälden der Neuen Impressionisten um 1904 bis Ende der 40er, darunter viele belgische Maler.

5. Tag

Hier nun spielte sich zunächst das eingangs geschilderte Drama ab, doch nach und nach starteten alle vier Boote von den Stegen des Ruderclubs. Zunächst weitet sich die Flusslandschaft etwas, vor der Schleuse Port Mort wechselten einige Ruderer an einer vorher vereinbarten Stelle zur Landmannschaft. Einige Kilometer hinter der Schleuse kam um 13 Uhr hoch auf den Kalkfelsen die eindrucksvolle Ruine des Château Gaillard in Sicht. Wir bogen aber kurz davor zum Schwimmelemente-Steg des Aviron Club Andelys Tosny (ACAT) ab, wo die Boote über Nacht im Gras gelagert wurden. Die freundliche Unterstützung durch mehrere französische Rudervereine entlang unserer Strecke fand einen Höhepunkt auf dem Picknickplatz in Les Andelys unterhalb der Burg Gaillard. Der Ehrenpräsident und Gründer des ACAT, André Giriat, über 80 Jahre alt, sehr aktiv und lebhaft, spricht gut deutsch und fuhr nach dem Picknick einige leicht Fußlahme von uns zur Festung hoch. Oben angekommen, ist von der gewaltigen Anlageheute nur noch die restaurierte innere Hauptmauer mit dem Donjon (Wehrturm) und Reste des nächsten Verteidigungsrings zu besichtigen. Drei Brunnen mussten 120m tief unter das Niveau der Seine gebohrt werden. Richard Löwenherz hatte rundum ein großflächiges System von Mauern, Vorposten, Schützengräben und Sumpf anlegen lassen. Sogar die Insel mit über den Fluss gespannten Ketten war einbezogen. Trotzdem wurde die Festung nach seinem Tod von den Franzosen unter Philip August monatelang belagert, ausgehungert und 1204 erobert. Château Gaillard wechselte noch mehrfach den Besitzer, verlor aber nach der Vertreibung der Normannen seine strategische Bedeutung. So wurde der Bauals Kerker benutzt und im 17. Jh. geschleift. Nach der Führung um und durch das historische Monument wollte André Giriat am liebsten uns alle zu sich in sein nahe gelegenes Haus einladen. Leider mussten wir dieses nette Angebot ausschlagen, denn die Jugendherberge rief mit dem Abendessen. Wir versprachen ihm aber Kontakt zu halten. Hier seine Daten: Chemin de la Haguette, 27700 Tosny, actaviron@hotmail.fr, oder25, rte des Falaises, 27700 les Andelys, tel. 06 03 31 13 58, Andre.Giriat@sfr.fr auch Natalie vom ACVP vor, die den Ablauf der Etappen perfekt vorbereitet hatte.

6. Tag

Tosny – Lormais – Poses

Der Aufbruch am Morgen war ungemütlich, denn es regnete mehrfach. Die Ruderer wurden aber durch eine spektakuläre Fahrt auf der Seine-Schleife unterhalb des Château Gaillard und vorbei an vielen Inseln belohnt. Mittags war das Picknick nahe der Ile de Lormais vorbereitet. Ein letztes Mal wechselte hier die Rudermannschaft teilweise. Nun ging es die letzte Etappe nahezu trocken weiter. In einem der Altarme steht der historische Gebäudekomplex der Moulin Andé, deren rostig-braunes Schaufelrad fast den gesamten Durchlass ausfüllt. Aus einem geöffneten Fenster klang die Weise einer Geige zu uns, als wir an der Mühle gewendet hatten. Ein weiterer Altarm verengt sich bei Connelles und erfordert bei der Durchfahrt unter einem alten Gebäude sogar „Ruder lang“. Die ehemalige Mühle wurde zu einem charmanten Hotel ausgebaut. Nach einigen Kilometern erreichten wir den Hauptarm der Seine und Sandrine lotste uns zielstrebig durch das Gewerbegebiet des Étang des Deux Amant. Nahe bei Val-de-Reuilplant z. B.der Luft-und Raumfahrtkonzern EADS seine langfristigen Missionen. Die Umgebung des Lac Mesnil wurde allerdings vor 10 Jahren zum Natur-und Erholungspark umgestaltet. Am Ufer liegt das moderne Bootshaus des AONES(L’Association Omnisports Nautiques Eure Seine)–das Ende unserer Wanderfahrt.Hier wurden die Boote abgeriggert und auf den Hänger geladen. Zurück in der Jugendherberge, erwartete uns wieder ein köstliches Menü.

7. Tag

Rouen

Zentrum der Region Haute-Normandie mit 112.000 Einwohnern im Norden Frankreichs, liegt 110 Kilometer nordwestlich von Paris und 68 Kilometer südöstlich von Le Havre an der Seine. Seit dem 4. Jahrhundert ist „Rotomagnus“ Bischofssitz. Ab 911 regierten die Wikinger von hier das Herzogtum Normandie, 1204 wurde die Hafenstadt von französischen Truppen erobert. Doch 1419 unterstellte Heinrich V. die Normandie der britischen Krone. 1449 wurde Rouen durch Karl VII.für Frankreich zurückerobert. Mit über 40.000 Einwohnern wurde Rouen im späten Mittelalter eine bedeutende Stadt und während der Reformation eine Hochburg des Protestantismus. Treffpunkt zum Stadtrundgang war die Touristinfo in einer alten Apotheke gegenüber der gotischen Kathedrale Notre-Dame – ein beliebter Standort, den schon Claude Monet für seine Kathedralen-Gemälde schätzte. Wir besuchten etliche der historischen Gebäude, etwa die Église Saint-Maclou in reinster Flamboyant-Gotik, legten schließlich am alten Markt vor der modernen Kirche Ste-Jeanne-d’Arc eine Gedenkminute ein, wo die Nationalheilige am 30. Mai 1431 auf dem Scheiterhaufen verbranntwurde. Trotz zahlreicher Zerstörungen im II. Weltkrieg sowie der Anlage breiter Boulevards blieben in Rouen 2000 Fachwerkhäuser erhalten, die noch heute ganze Viertel prägen. Prächtig renoviert wurde der beschädigte Justizpalast aus dem 16. Jahrhundert. Zahlreiche Kirchen, der große Uhrenturm oder das Pest-Beinhaus sind noch älter. Kulinarischer Abschluss des Stadtbesuchs war das Essen im Fachwerk-Restaurant „La Walsheim“ mit regionaler Küche. Zurück in Vernon, konnten die endlich getrockneten Utensilien von der Leine genommen und verpackt werden. Nun stand dem Abschlussabend nichts mehr im Weg. Auch das letzte Menü des Traiteurs war ausgezeichnet –und wurde restlos vertilgt. Ein großer Dank, verbunden mit einem Überraschungs-Geschenk, ging an die Organisatoren vom ACVP, allen voran Natalie und Sandrine, sowie vom BRV und ARC. Erst zur „Sperrstunde“ der Jugendherberge gingen die Weinvorräte langsam aus und die letzte Nacht vor der Rückreise brach an.

Für die Statistiker zum Abschluss

Die Ruderetappen

Villennes-Poissy –19 km –Meulhan –19 km –Dennemont
Dennemont –17 km –Vetheuil –22 km –Vernon
Vernon–22 km –Tosny
Tosny –15 km –Lormais –16 km –Poses…

Und die Teilnehmer

Manfred Reichwald, Gottfried Klesar, Wolfgang Bock, Wolfgang Augustin, Wolf –Herwig Schulze, Andreas Hinner, Martina Jarius-Kornhuber, Ralf Kornhuber, Annedore Tischer, Peter Heitmann, Axel Rauscher, Ingrid Rauscher, Hans Astheimer, Helmut Schaaff, Roland Faßnacht, Rosita Blankenstein, Renate Lorenz, Peter Lorenz, Renate Mex, Otto Mally, Peter Widdes, Peter Hahlbrock, Wolfgang Bausch, Host Reitz, Bernd Herkenrath, Gerhard Fuchs, Holger Barth, Peter Becker, Nathalie Cernicchiario, Sandrine Pekny