Wanderruderer
Jeder Holländer hat zwei Fahrräder – aber die Friesen haben zwei Boote. Jedenfalls bekamen die Teilnehmer der 18. gemeinsamen Wanderfahrt vom ARC Berlin und dem Breisacher RV diesen Eindruck, als sie eine Woche  im Spätsommer (27.08. bis 03.09.2016) auf unterschiedlichsten Kanälen in Friesland ruderten. Allein 40.000 Hausboote, häufig liebevoll restaurierte Frachtsegler, sind in den Niederlanden registriert.

Die Anreise am 27. 8. war diesmal recht weit, die Berliner flogen daher bis Amsterdam und nahmen dann zwei Leihwagen, während die Breisacher mit drei Booten im Hänger nach Leeuwarden fuhren – Ljouwert nennen die Friesen ihre lebendige Provinzhauptstadt.  Als Standquartier diente das Hotel „T‘Anker“ nahe dem historischen Zentrum mit Waag-Haus, Princessehof und alten Bürgerhäusern. Einkäufe und die abendliche Energiezufuhr in urigen Restaurants mit langen Tischen waren mit kurzem Fußweg erreichbar.
Die Breisacher hatten einen nagelneuen weißen Vierer mitgebracht. Roland taufte ihn zünftig auf dem Gelände der „Roeivereniging Wetterwille“ vor der ersten Etappe mit Weißburgunder auf den Namen „Kleeblatt“. Das schien aber dem Wettergott nicht zu gefallen: Er schickte einen  heftigen Regenguss mit Blitz und Donner. Nach einer Stunde beruhigte er sich wieder, so konnten die Boote dann nach Sneek überführt werden. Das Revier ist unerwartet abwechslungsreich:  Während auf dem Prinses Magrietkanaal und van Harinxmakanaal sogar seegängige Pötte fahren, sind die schmalen Kanäle nur für Freizeit-Skipper interessant.

Die Ortsbezeichnungen sind in Friesland zweisprachig, was gleich zu Irritationen führte: Das Navi kannte den ersten Wechselpunkt „Easterwierrum“  (NL) an der Zwette nur als „Oosterwirum“ (friesisch). Das Städtchen Sneek/Snits war zwar leicht gefunden, hat aber ein so verzweigtes Kanalnetz, dass wir Ruderer eine Ehrenrunde drehten, bevor die niedrige Brücken-Durchfahrt der Geeuw gefunden wurde. Und das war nicht die einzige Brücke, die nur mit Ruder lang und tief gebückt oder gar liegend zu meistern war; denn obwohl alle Brücken beweglich sind und ein Brückenmeister für Motorschiffe und Segler meist schnell die Brücken hochklappt: Für Ruderer bleiben sie geschlossen, da half häufig nur ein geducktes Gleiten durch die seitlichen „Mauselöcher“ mit vorheriger Herausnahme der Flaggenstöcke. Nach einiger Übung klappte das ganz gut.

Die Rudervereinigung „De Geeuw“ in Sneek war nun Ausgangs- und Endpunkt einer Vier-Etappen-Rundfahrt durch das südwestliche Friesland mit zwei Booten. In kalten Wintern flitzen auf diesem Kurs seit 1909 Eisläufer auf der „Elfstedentocht“ (11 Städte-Tour) über das Eis der Seen und Kanäle; durch den Klimawandel ist das aber immer seltener möglich – zuletzt 1997.

Die 1. Etappe startete auf der Geeuw , eher ein langgestreckter See. Dann ging es südlich auf der Wjde Wjimert  und anschließende Kanäle zum Slotermeer, auf dem ein heftiger Wind mit Stärke 4 Wellenkämme in die Boote schob. Sloten/Sleat, die kleinste Stadt der Niederlande, liegt allerdings nicht direkt am See. Das mittelalterliche Städtchen mit Bürgerhäusern an der Gracht, Kanone, Schafott, Mühle, Kirche und Stadttoren lohnt eine Besichtigung. Die nach der Mittagspause auf dem Campingplatz gestärkte Mannschaft durchpflügte das Flachwasser des Slotermeers nun zum zweiten Mal – jetzt nach Westen und mit Rettungswesten gesichert. Apropos „meer“: Das bezeichnet einen See im Niederländischen – und das Meer ist „de zee“. Beim Städtchen Balke mündet das Flüsschen de Luts, auf dem die Route weiterführt; der Kanal van Swindenfeart knickt nach 7 km nordwestlich in die schnurgerade Spoekhoekster Feart und Rüsterfeart, bis über eine Seenkette das Tagesziel, der Yachthafen von Galamadammen auftauchte.

Die 2. Etappe startete dort mit dem Einsetzen der Boote. Über den Morra-See und den breiten Johan-Frisokanaal  ging es nach Stavoren/Starum am Ijsselmeer. Die Stadt gehörte der Hanse an, noch heute hat der Hafen große Bedeutung, auch durch eine Fährverbindung über das ausnahmsweise spiegelglatte Ijsselmeer. Besonders idyllisch wurde es nun auf der gewundenen, schilfbestandenen Dijkvaart direkt hinter dem Deich des Ijsselmeers; Schafe mähten das Gras des Deichhangs ab. Nach der Mittagspause auf dem Campingplatz bei Molkwerum führte uns die Westerfeart hinter dem Deich nach Hindeloopen, dann nordöstlich die Easterfeart, die Dijkvaart und de Horsa bis zum Yachthafen in Workum/Warkum, bekannt für seine Töpferwaren.

Auf breiten Kanälen, Trekwej und Workumerfaart, die auch von kleinen Frachtschiffen befahren werden, erreichten wir auf der 3. Etappe schnell Bolsward/Boalsert. Auf einem ausgedehnten Stadtbummel bewunderten wir das prächtige Renaissance-Rathaus der ehemaligen Hansestadt, machten an einem der vielen Cafés und Destillen Halt. Schmale Grachten durchziehen die Stadt, gesäumt von Bürgerhäusern aus dem 17. Jahrhundert. Nachmittags suchten wir den direkten Weg über die verwinkelte Wytmarsumer Feart nach Harlingen. Allerdings sind Hinweistafeln an den Kanal-Verzweigungen nicht immer zu finden oder fehlen ganz. Bisweilen steuerten unsere Boote geradewegs in eine immer enger zuwuchernde Sackgasse oder in die falsche Richtung. Dank detaillierter Karten, GPS, Mobiltelefon und hilfsbereiter Friesen ließen sich die Fehler aber schnell aufklären. Spät erreichten wir den Yachthafen in Harlingen/Harns an der Nordsee, wo Fähren nach Terschelling und Vlieland ablegen.

Die 4. Etappe begann in Harlingen ohne das erhoffte Bad, denn die Nordsee spülte einen grünlichen Schaumteppich ans Ufer. So kehrten wir schnell zum Süßwasser zurück und ließen die Boote ins Wasser. Durch die (halb-) täglich neue Mischung der Bootsmannschaften und die Beschränkung auf zwei Boote ergab sich hier die Zusammenstellung eines  Ü80- und eines Frauenboots, die bis Franeker/Frjentsjer auf dem van Harinxma-Großschiffahrtskanal fuhren. Die historische Altstadt mit dem ältesten Planetarium der Welt konnten leider nur die motorisierten Begleiter besuchen. Nach der Mittagsrast in Easterlittens steuerten wir auf der Franekervaart direkt zurück nach Sneek, wieder vorbei an dem mächtigen Wassertor, das von der mittelalterlichen Stadtmauer erhalten blieb.
Eine kleine Runde führte am letzten Rudertag durch die Hafenanlagen und  Kanäle von Sneek, vorbei an Villen und reetgedeckten Häusern, durch die Grachten in Sneek, bevor die Boote am Ruderclub wieder abgeriggert und verladen wurden. Und dann kam Wolfgang Bocks legendärer Ingwerschnaps zum Einsatz …

Auch die zwei Nicht-Ruderinnen Ingrid und Gerhilde unternahmen mit Rad und Bahn ein abwechslungsreiches Tagesprogramm – unter Ausnutzung des Rückenwinds. Nur Gottfrieds Automatik-Weste fühlte sich nicht ausgelastet und blies sich eines Nachts im Schrank zu voller Größe auf. Das blieb ihr einziger Einsatz, denn Rettungswesten sind nur bei Schleusungen vorgeschrieben – und die sind rar im flachen Fryslân.

Letztlich führte die sorgfältige Vorbereitung durch Roland und Martina zu einer nahezu perfekten Wanderfahrt. Das begann mit der langfristigen Planung der Rundroute, Beschaffung von Detailkarten, der Fahrer-Planung für die täglichen An- und Abfahrten per Bus/Pkw und reichte bis zur Mittags-Verköstigung und dem Bootsproviant. Auf einer kleinen Abschiedsfeier im Hotel erhielten sie ein Dankeschön aller Teilnehmer.

Die Tagesrouten im Überblick:
Leeuwarden – Easterwierrum – Sneek (30 km)
Sneek – Sloten – Galamadammen (39 km)
Galamadammen – Stavoren – Hindeloopen – Workum (36 km)
Workum – Bolsward – Arum – Harlingen (36 km)
Harlingen – Franeker – Easterlittens – Sneek (39 km)
Sneek – Sneekermeer – Oppenhuizen – Sneek (16 km)

Teilnehmer: ARC: Annedore Tischer, Peter Heitmann, Manfred Reichwald, Gottfried Klesar, Wolfgang Bock, Martina und Ralf Kornhuber, Ingrid und Axel Rauscher, Wolfgang Augustin, BRV: Hans Astheimer, Helmut Schaaff, Roland Faßnacht, Michael Föller, Rosita Blankenstein, Renate Mex, Wolfgang Michalke, Peter Becker, Otto Mally, Gerhilde und Peter Widdess

Text und Fotos: Wolfgang Augustin (ARC zu Berlin)

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